Kanada

British Columbia

Unterwegs im „wilden Westen“ Kanadas

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Berghütten- und Ranchaufenthalt im West Chilcotin

Der Wind bläst heftig aus Westen, die Wellen des Whitton Lake sind von weißen Schaumkronen geziert. Das ist Natur pur. Nuk Tessli, in der Sprache der First Nation „Wind aus Westen“ bedeutend, ist Anziehungspunkt für Outdoorbegeisterte insbesondere aus Kanada, Europa und Israel. Wer hierher kommt, hat sich bewusst eingelassen auf die Wildnis Kanadas. Und dafür wird er belohnt. Der Chilcotin ist ein Tipp für alle diejenigen, die sich abseits der ausgetretenen Pfade bewegen möchten.

Der Highway 20, der für Reisende von Port Hardy auf Vancouver Island, durch die Fährverbindung nach Bella Coola, oft nur als Durchgangsroute ins Landesinnere verstanden wird, ist viel mehr als eine Tagesfahrt. Sich einlassen auf Weite und Natur, fernab von den aus anderen Landesteilen im Westen bekannten Touristenströmen, gepaart mit Begegnungen und Austausch mit anderen Reisenden beim Frühstück und Abendessen auf der Berghütte Nuk Tessli oder der Terra Nostra Guest Ranch – das kann zum Erlebnis mit „Suchtcharakter“ werden.

Ideal zum Wandern

Die Nuk Tessli Lodge, auf rund 1600 Metern Höhe zwischen Charlotte Lake und dem Monarch Icefield im Küstengebirge des Chilcotin in British Columbia gelegen, bietet mit drei Blockhütten im Stile der Berghütten in den Alpen Platz für bis zu fünfzehn Personen. Alle Hütten verfügen über eine eigene Toilette sowie eine Dusche mit fließend Wasser. Sie werden nur dann voll belegt, wenn sich die Leute kennen und als Gruppe die Hütten buchen. Ansonsten stehen sie auch Paaren oder Familien zur Verfügung. Im ebenfalls als Blockhütte gebauten Haupthaus, mit gemütlich eingerichtetem Aufenthaltsraum und Esszimmer, werden die Gäste mit typisch kanadischem Frühstück samt Müsli und Obst und einem abwechslungsreichen Abendessen versorgt. Für die Outdooraktivitäten während des Tages können sich die Gäste Sandwiches aus selbst gebackenem Brot zubereiten.

Grandiose Landschaften, von Gletschern gezierte Berge, Wandermöglichkeiten aller Schwierigkeitsstufen und die Gewissheit, abseits jeglicher Touristenströme unterwegs zu sein, sind die Anziehungspunkte für alle diejenigen, die wandern, paddeln, die mit der Natur eins sein wollen. Gut markierte Wanderwege führen hinauf in alpine Landschaften oberhalb der Baumgrenze, mit fantastischen Blicken über die Bergwelt des Küstengebirges. Andere Routen wiederum verlaufen rund um den See oder zu Buchten, die animieren zum Innehalten und die Seele baumeln zu lassen. Wenn der Wind sich beruhigt, und der Tag sich seinem Ende zuneigt, lädt der See zum Paddeln ein. Dann ist das Plätschern des Wassers beim Eintauchen der Paddel das einzige Geräusch und zwischen den vorgelagerten Inseln lässt es sich anlanden und die untergehende Sonne genießen.

Sue, eine Kanadierin aus Kamloops, ist mit sieben Freundinnen zum Wandern hierhergekommen. Alle sind über 60 Jahre alt. Und angesprochen darauf, warum sie sich ausgerechnet Nuk Tessli zum Wandern ausgesucht haben, meinte sie, „wir alle werden älter, wollen kein Zelt und Essen mehr im Rucksack mittragen und freuen uns, abends warm duschen zu können“. Aber ganz besonders liebe sie es, in der Einsamkeit des West Chilcotin unterwegs sein zu können. Das sei ein anderes Erlebnis als beispielsweise wandern in der Umgebung ihres Heimatortes in Revelstoke oder den Rocky Mountains.

Mit dieser Sehnsucht nach Ruhe und Abgeschiedenheit ist auch der Ursprung Nuk Tesslis eng verbunden. Die erste Blockhütte entstand nämlich durch die Arbeit einer charakterstarken und mutigen Frau, der Engländerin Chris Czajkowski. Sie emigrierte 1979 nach Kanada und erwanderte das Gebiet des West Chilcotin. Dort erbaute sie Ende der 1980er-Jahre in tiefster kanadischer Wildnis, auf sich alleine gestellt, die erste Blockhütte am Whitton Lake. Über das Leben und Arbeiten in der kanadischen Wildnis veröffentlichte sie ein Tagebuch, was sie zur Bestsellerautorin machte.

Und auch der aus Israel stammende Käufer der Hütte und heutige Besitzer Nuk Tesslis verfügt über außergewöhnliche Verbindungen zur Natur und den Herausforderungen der kanadischen Wildnis und Einsamkeit. Doron Erel war der erste Israeli, der 1992 den Gipfel des Mount Everest erklomm. 2011 erwarb er die Berghütte und betreibt seither mit seiner Frau und zwei Söhnen, gemeinsam mit Volunteers aus allen Ländern der Erde, das Wanderparadies im Chilcotin.

Einen Höhepunkt des Aufenthalts hier bildet sicherlich die Gletscherwanderung am Ape Lake. Wie schon bei der Anreise mit dem Wasserflugzeug von Tweedsmuir Air am Nimpo Lake, startet auch hier das Abenteuer mit dem Wasserflugzeug. Nach einem halbstündigen Flug durch die Gebirgs- und Gletscherwelt wird man am Ape Lake abgesetzt. Unter fachkundiger Führung von Sela, einem der Söhne der Familie, wird die Gletscherlandschaft erklommen. Es ist eine einzigartige, fast unwirkliche, felsige Landschaft über die sich grandiose Gletscher mit Eishöhlen und Gletscherseen ziehen. So nahe eintauchen zu können in erdgeschichtliche Entwicklungen, Natur und Umwelteinflüsse erfahren und zu erleben, prägt und berührt.

Eine weitere Tour für erfahrene und orientierungssichere Wildniswanderer führt zur Berghütte am fünf Wanderstunden entfernten Wilderness Lake. Umgeben von Gletschern und Gipfeln, die den Blick über das Küstengebirge ermöglichen, ist die Hütte ein attraktives Wanderziel. Von hier aus bringt einen das Wasserflugzeug zurück zum Nimpo Lake.

Outdoorparadies am Clearwater Lake

Die Berghütte am Wilderness Lake gehört zu der am Highway 20 gelegenen Terra Nostra Guest Ranch. „Über 6000 Kilometer mussten wir durch Kanada reisen, um das zu finden was wir suchten: die Nähe zur Natur, gutes Essen, unberührte Landschaften soweit das Auge reicht, eine gemütliche Unterkunft, wunderschöne und einsame Wanderwege. Hier konnten wir entschleunigen, beim Reiten, Kanu fahren und wandern aktiv sein, das Leben genießen“, schreiben Bettina und Markus im September diesen Jahres ins Gästebuch der Ranch.

Es sind fast spirituelle Gedanken, die den Aufenthalt auf der von Corinne und Christoph aus der Schweiz geführten Terra Nostra Guest Ranch bei Kleena Kleene im Chilcotin begleiten. Aber alleine die Anfahrt über den Highway 20 von Williams Lake nach Bella Coola an der Westküste von British Columbia gibt dazu auch die Möglichkeit. Denn auch hier gilt es, die Augen und das Herz zu öffnen, um das zu entdecken, was abseits des eher unscheinbaren Highways liegt, das, was das Leben lebenswert macht.

Mit der Fahrt durch das Gatter der Ranch öffnet sich vor einem etwas „paradiesisches“. Es ist der Blick auf die Pferdeweide, am Horizont begrenzt vom Clearwater Lake und den Ausläufern der Coast Mountains. Es ist die Weite, die Ruhe und die Lage in der Einsamkeit einer grandiosen und oft noch wenig erschlossenen Landschaft die eine Faszination auf die Menschen hier ausübt. Eine Faszination, die sie nicht mit Touristenmassen teilen müssen, sondern die sie abseits der ausgetretenen Pfade alleine für sich genießen können.

Die Terra Nostra Guest Ranch ist eine Pferderanch. Die Pferde bewegen sich hier frei und sind Teil der Ranch-Familie. Viele Gäste kommen hierher, weil sie ausreiten, sich mit Pferden auf natürlichem Boden in der Wildnis Kanadas bewegen möchten. Und das ist hier möglich. Zum Einstieg gehört der Kennlernausritt durch die nähere Umgebung der Ranch. Bewusst weist Corinne darauf hin, dass Reiten in der Wildnis mehr verlangt, als reiten zu können. Die Wege führen über Wurzeln und Steine, durch Bäche und über Stege – und das muss beherrscht werden, bevor im Galopp über Sanddünen ausgeritten werden kann.

Die Pferde auf der Weide besuchen, sie streicheln, mit ihnen sprechen oder mit einer Karotte füttern und mit ihnen ausreiten zu können, ist für viele, gerade auch für Familien mit ihren Kindern, Höhepunkt des Aufenthaltes. Gerade weil die Tiere hier artgerecht gehalten und der Umgang mit den Tieren von Respekt vor ihnen und der Natur geprägt ist, kommen Gäste gerne hierher.

Karl-Hans Kern war in 17 Reisen vor allem abseits der Hauptstraßen im Westen Kanadas unterwegs. Er ist Autor des Reiseführers „Cariboo Chilcotin Coast – 50 Tipps abseits der ausgetretenen Pfade“ (360° medien) und Herausgeber eines Reisebildbandes über die Region.